Die Erwartungen und der Erfolgsdruck sind hoch: Die ERP-Lösung soll als zentraler Baustein der IT-Infrastruktur die Geschäftsprozesse optimal unterstützen und die globale Wettbewerbsfähigkeit sichern. Zudem soll sich die Investition möglichst schnell rechnen. Gleichzeitig ist bekannt, wie teuer gescheiterte ERP-Projekte die Unternehmen zu stehen kommen. Hier hilft nur eine strukturierte Einführungsmethodik.
Während der Nutzen eines ERP-Systems auf der Hand liegt, ist den Entscheidungsträgern oft nicht klar, wie die Einführung konkret ablaufen soll. Häufig werden bereits vor dem eigentlichen Projektstart entscheidende Fehler gemacht. Wenn nicht gemeinsam festgelegt und allen Beteiligten klar gemacht wurde, wie das Projekt organisiert und strukturiert ist, kommt es zu Missverständnissen und Fehlannahmen, Verantwortlichkeiten werden hin und her geschoben. Auf diese Weise kommen ERP-Einführungsprojekte nicht vom Fleck und verschlingen Budgets, ohne wesentliche Fortschritte zu erzielen.
Mit einer strukturierten Einführungsmethodik kann diesen Unsicherheiten jedoch leicht begegnet werden: Eine praxisorientierte Checkliste erleichtert den Weg zum neuen ERP-System.
Wie lange dauert die ERP-Einführung?
Jede ERP-Einführung ist so einzigartig wie das Unternehmen, in dem ein neues System eingeführt wird. Rahmenbedingungen wie Unternehmensgröße, vorhandene Ressourcen und Kapazitäten sowie grenz- und werksübergreifende Prozesse können einen großen Einfluss auf die Einführungsdauer haben. Auch die vorhandene Basis ist entscheidend. Werden beispielsweise viele Prozesse bereits durch eine ERP-Lösung abgedeckt, müssen bestehende Zusammenhänge, Arbeitsweisen und Abläufe berücksichtigt und zwischen Anbieter und Unternehmen diskutiert werden.
Wie viel Aufwand haben meine Mitarbeiter?
In einer idealen Welt würde sich der ERP-Projektleiter eines Unternehmens während der Einführung ausschließlich um das Projekt kümmern. In der Regel sind diese qualifizierten Mitarbeiter aber auch für andere Tätigkeiten unentbehrlich und im Tagesgeschäft eingespannt.
Wer ein neues ERP-System einführt, muss sich darüber im Klaren sein, dass es sich um ein Mitmach-Projekt handelt. So hängt der Erfolg vor allem davon ab, dass Anwenderunternehmen und Anbieter von Anfang an ein Team bilden. Gemeinsam müssen sie daran arbeiten, die Prozesse, die dem Unternehmen bisher Wettbewerbsvorteile verschafft haben, auch mit dem neuen System zu pflegen und zu optimieren.
Hinzu kommt der Aufwand für die Key-User (Hauptanwender), die Workshops durchführen, vor- und nachbereiten und zusätzlich Schulungsunterlagen erstellen müssen. In der heißen Phase des Projekts sollten sie daher durchschnittlich 50 % ihrer Zeit für eine erfolgreiche Einführung einplanen – wobei der Zeitbedarf von Woche zu Woche stark schwanken kann.
Die 5 Phasen eines ERP-Projekts (mit Checkliste)
Die Einführung eines ERP-Systems gliedert sich in der Regel in fünf aufeinander aufbauende Phasen. In der Realität gehen die einzelnen Phasen jedoch teilweise ineinander über. Ein Patentrezept gibt es nicht.
Als Orientierungshilfe und Checkliste haben sich folgende Phasen bewährt:
1. Projektinitialisierung
Planen, Organisieren, Dokumentieren - so lautet die Überschrift der ersten Phase. Sie zielt darauf ab, die organisatorischen und operativen Rahmenbedingungen für die Umsetzung zu schaffen. Dazu gehören die Zusammenstellung des Projektteams inklusive der Zuweisung von Verantwortlichkeiten, die Abstimmung eines Projekthandbuchs, das die vereinbarte Vorgehensweise der Zusammenarbeit dokumentiert, die Erstellung des Projektplans sowie die Durchführung eines Kick-Offs.
Checkliste: Projektinitialisierung
- Projektteam bilden: Wer gehört zum Projektteam? Wer ist Projektleiter beim einführenden Unternehmen und beim Anbieter? Wer sind die Key-User? Welche Berater des ERP-Anbieters werden benötigt? Wer sitzt im Lenkungsausschuss, der als höchste Eskalationsstufe bei Meinungsverschiedenheiten Klarheit schaffen kann?
- Projekthandbuch abstimmen: Es wird schriftlich festgehalten, wie man im Projekt zusammenarbeiten will. Worauf ist zu achten? Wo befinden sich die nötigen Dokumente? Wie geht man bei Änderungen miteinander um? Wie beim Risikomanagement? Es ist wichtig, alles so früh wie möglich zu definieren, um später in der Hitze des Gefechts Missverständnisse zu vermeiden.
- Projektplan erstellen ( bzw. überarbeiten): Der Projektplan mit den fünf Phasen wird gemeinsam erarbeitet. Gegebenenfalls kann ein Projekt in mehrere Teile gegliedert werden, um die Komplexität zu reduzieren.
- Kick-Off-Veranstaltung durchführen: Wenn alle Punkte geklärt sind, kann als Meilenstein der ersten Phase alles weitere besprochen werden.
2. Installation und Training des Kernteams
Installieren, trainieren, „Big Picture“ – sind die drei entscheidenden Stichworte der zweiten Phase. Sie umfasst die Installation der Softwarekomponenten, Überblicksschulungen für das Key-User-Team sowie die gemeinsame Erarbeitung der zukünftigen Prozesslandkarte – sozusagen als das große Ganze oder „Big Picture“.
Checkliste: Installation und Training des Kernteams
- Installation der Software-Komponenten
- Überblicksschulungen für Key-User: Die Schulung besteht aus einer Oberflächen- und Systemhandhabungsschulung gefolgt von einem typischen Auftragsdurchlauf, der anhand von Kundendaten durchgespielt wird. An dieser Stelle empfehlen wir auch die gemeinsame Erstellung eines „Big Picture“ (zukünftige Prozesslandkarte) der Prozesse. Die Inhalte der Prozesslandkarte bilden die Grundlage für die nachfolgenden Designphasen. Die Systemübersicht kann als Meilenstein für die zweite Phase angesehen werden.
- Ergänzende Schulungen: Dazu gehören z. B. Oberflächenschulungen oder die Bedienung der Anwendung.
3. Prozess- und Systemdesign
Design – so lautet das Credo der dritten Phase. Im Kern geht es um die Klärung der Frage, in welchen sinnvollen Prozessen die verschiedenen Unternehmensbereiche zukünftig arbeiten wollen oder sollen und wie sich diese im ERP-System abbilden lassen. Ob die skizzierten Prozesse funktionieren, ob Schnittstellen zu Subsystemen zu definieren sind oder ob relevante Medienbrüche auftreten, kann im Integrationsworkshop festgestellt werden. Hier wird der Prozess über alle Abteilungen hinweg von A bis Z durchgespielt.
Abschließend werden Funktions- und Ablaufbeschreibungen dokumentiert, notwendige Schnittstellen und Anpassungen spezifiziert sowie ein Datenmigrationskonzept erstellt und verfeinert. Spätestens jetzt sollten auch vertragliche Anpassungserfordernisse thematisiert werden.
Checkliste: Prozess- und Systemdesign
- Workshops in den Teilprojekten: Anforderungen aus den betroffenen Bereichen werden aufgenommen und diskutiert. Es erfolgt eine Prozessaufnahme und eine Diskussion, wie die Prozesse in den Teilprojekten (z.B. Einkauf und Vertrieb) abgebildet werden sollen.
- Definition der Soll-Prozesse und deren Abbildung im System: Hier dreht sich alles um die Frage: Wie will das Unternehmen in Zukunft arbeiten? Berater und einführendes Unternehmen überlegen daher gemeinsam, wie die Prozesse sinnvoll gestaltet werden können. Unternehmen profitieren hier vom generellen Know-how und der Branchenkenntnis eines erfahrenen Anbieters.
- Change Management: Wenn sich in der Praxis Änderungsbedarf gegenüber dem Lastenheft oder den vertraglichen Regelungen ergibt, sollten die Änderungen spätestens während des Prozess- und Systemdesigns besprochen werden.
- Erstellung der Dokumentation auf Basis von Best-Practice-Dokumenten (Funktions- und Ablaufbeschreibungen)
- Spezifikation von Schnittstellen und Anpassungen
- Konzept Datenmigration
- Integrations-Workshop: Anbieter und Unternehmen gehen gemeinsam den Prozess von A bis Z und über alle Abteilungen hinweg durch. Funktioniert der Prozess in der Theorie über Abteilungsgrenzen hinweg? Funktioniert das Zusammenspiel bzw. sind Schnittstellen zwischen Teilsystemen notwendig? Wo sind Medienbrüche problematisch?
4. Umsetzung Prozess- und Systemdesign
Konfigurieren, Anpassen, Testen - diese Aktivitäten beschreiben den Kern der vierten Einführungsphase. Hier konfiguriert der Anbieter das System entsprechend dem definierten Prozess- und Systemdesign - inklusive der Realisierung von Schnittstellen und Anpassungen. Anschließend erfolgt das iterative Feintuning der Migrationsmethodik durch Migrationstests. Am Ende dieses Prozesses liegen die zu übernehmenden Daten in der erforderlichen Qualität vor und werden in das neue System migriert. Es folgt der finale Integrationstest und damit ein Testlauf der Prozesse im gesamten Unternehmen. Abschließend bestätigt das Team den erfolgreichen Durchlauf und damit die abgeschlossene Prozess- und Programmrealisierung. Mit der Erklärung der Betriebsbereitschaft fällt der Startschuss für den Aufbau des Produktivsystems, das für die Datenübernahme und den anschließenden Produktivstart vorbereitet wird.
Checkliste: Umsetzung Prozess- und Systemdesign
- Anwendungskonfiguration: Der Anbieter konfiguriert das System und stellt die Parameter entsprechend den individuellen Anforderungen des Unternehmens ein.
- Realisierung der Schnittstellen und Anpassungen
- Iterative Verfeinerung der Datenübernahme: Zunächst wird eine Testmigration durchgeführt, da die Datenmigration erfahrungsgemäß nicht beim ersten Mal in der gewünschten Qualität gelingt. Die Gründe dafür können vielfältig sein: Die Daten liegen im Altsystem nicht in der erforderlichen Qualität vor, Daten fehlen ganz oder bestimmte Parameter müssen für das neue System anders gesetzt werden. Die Migrationsmethodik wird iterativ so lange verfeinert, bis die Daten in der benötigten Qualität vorliegen und sinnvoll in das neue System migriert werden können.
- Erstellung Inbetriebnahmeplan
- Integrationstest: Der Integrationstest ähnelt dem Integrations-Workshop. Der Test erfolgt jedoch unter realen Bedingungen mit migrierten Daten und realisierten Schnittstellen sowie allen Programmanpassungen. Getestet werden alle Prozesse im gesamten Unternehmen.
- Erklärung der Betriebsbereitschaft: Die Erklärung erfolgt, wenn aus Sicht des Anbieters und des Unternehmens der Online-Gang gewagt werden kann. Sie ist damit der Meilenstein für die Umsetzungsphase.
5. Inbetriebnahme und Support Echtbetrieb
Start, Schulung, Support - das sind die drei Kernpunkte der letzten Phase. Bevor die Daten für den Produktivbetrieb übernommen werden, schult das Team die verbleibenden Endanwender. Danach erfolgt die Inbetriebnahme, während der die Anwender bei Fragen möglichst online unterstützt werden.
Checkliste: Inbetriebnahme und Support Echtbetrieb
- Schulung der Endanwender: Alle Anwenderinnen und Anwender erhalten maßgeschneiderte Schulungen.
- Datenübernahme für den Produktivbetrieb
- Inbetriebnahme: Die Inbetriebnahme findet statt. Meilenstein dieser Phase.
- Online-Support: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können jederzeit auf Online-Support zurückgreifen.
Wo lauern Fallstricke bei der ERP-Einführung?
Fehler vermeiden ist besser als Fehler beheben. An diesen leicht zu vermeidenden Fallstricken sind schon ERP-Projekte gescheitert oder stark verzögert worden. Gemeinsam mit dem Anbieter können Unternehmen diese jedoch leicht umgehen.
Fallstricke bei der ERP-Einführung
- Unklare Ziele: Unternehmen sollten vor der Einführung eine klare Zieldefinition haben. Die Frage, was mit dem neuen ERP-System erreicht werden soll, muss beantwortet werden.
- Komplexität wird unterschätzt: Das Prozess- und Systemdesign kann sich bei komplexen Anforderungen in die Länge ziehen. Auch die Frage, wie viele Funktionen auf einmal eingeführt werden sollen, kann den Zeitaufwand beeinflussen. Sollen beispielsweise alle Prozesse von der kaufmännischen Abteilung bis zur Produktion mit einem ERP-System abgebildet werden, ist das Projekt entsprechend komplex. Eine gewisse Kompromissbereitschaft seitens des Anbieters und des Unternehmens ist erforderlich. Ebenso wie die Einsicht, dass bei Standardprodukten möglicherweise nicht alle individuellen Prozesse berücksichtigt werden können.
- Schlechtes Change Management: Im Laufe des Projekts kristallisiert sich immer mehr heraus, was wirklich benötigt wird und das unterscheidet sich oft von den Anforderungen, die zu Beginn des Projekts definiert wurden. Es entsteht ein Änderungsbedarf, der moderiert werden muss. Gutes Change Management und Kreativität sind auf beiden Seiten gefragt, um hier für beide Seiten sinnvolle Lösungen zu finden.
- Sie reden aneinander vorbei: Nehmen Sie sich Zeit, um mit Ihrem Anbieter ein eingespieltes Team zu werden. Es kann eine Weile dauern, eine gemeinsame Sprache zu finden. Bei unterschiedlichen IT-Lösungen bedeuten gleiche Begriffe oft nicht dasselbe. Ebenso benennen Kolleginnen und Kollegen aus der Produktion den gleichen Sachverhalt anders als in der IT. Die Anforderungen aus dem Lastenheft sollten daher noch einmal gemeinsam genau durchgesprochen werden.
- Schlechte Datenqualität: Eine Datenmigration kann sehr aufwändig sein und viel Zeit in Anspruch nehmen, wenn die Daten nicht in der erforderlichen Qualität vorliegen.
Klare Ziele – klare Wege
Die Erfahrung zeigt: Unternehmen, die sowohl klare Ziele definieren als auch die Wege der Einführung genau benennen und verfolgen, nehmen am Ende des Projekts ein System in Betrieb, mit dem sie langfristig gut aufgestellt sind.
Zwar gleicht kaum eine ERP-Einführung der anderen, doch bei allen ist die Bildung eines funktionierenden Teams aus Anwenderunternehmen und ERP-Anbieter das A & O. Bewährt hat sich nicht zuletzt die Orientierung an den beschriebenen fünf Schritten und den dazugehörigen Checklisten - unabhängig von der Größe oder Komplexität eines Projekts.