Digitalisierung und Vernetzung haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einer enormen Komplexitätssteigerung industrieller Softwarelösungen geführt. Das betrifft die technologische Basis ebenso wie ihre Bedienbarkeit. Die Herausforderung besteht darin, die benötigte, vielschichtige Funktionalität in der konkreten Nutzung zu vereinfachen.
Kaum ein Produktionsschritt ist heute noch nicht digital abgebildet oder mit den ihn umgebenden Prozessen vernetzt - bis in die betriebswirtschaftlichen Ebenen hinein. Hinzu kommt die weitere Vernetzung mit Wertschöpfungsstufen außerhalb des eigenen Unternehmens.
Diese Entwicklung ist existenziell. Denn sie ermöglicht einerseits deutliche Produktivitätssteigerungen, hilft Ressourcen zu schonen und schneller bessere Entscheidungen zu treffen. Dies sichert Marktanteile und Wettbewerbsfähigkeit. Andererseits hat sie dazu geführt, dass die Komplexität der zugrundeliegenden Prozesse ebenso wie der unterstützenden IT-Systeme erheblich gestiegen ist.
Der Ruf nach Vereinfachung in der konkreten Anwendung ist längst zu einer wesentlichen Anforderung an industrielle IT avanciert. Ziel ist es folglich, Software so zu konzipieren, dass sie einerseits die geforderte Funktionalität abbildet und flexibel an neue Anforderungen anpassbar ist und andererseits leicht zu bedienen ist. Entsprechende Ansätze werden unter dem Begriff „Simplification“ zusammengefasst.
Im Folgenden werden drei dieser Ansätze vorgestellt, die gemeinhin als grundlegend gelten.
1. Kontextsensitive Ansichten
Überweisungen, Arztterminvereinbarungen, Smart-Home-Anwendungen: Täglich nutzen Menschen im Privaten via Smartphone, Tablet und Co. Apps, die ihnen das Leben vereinfachen. Ist eine Anwendung zu kompliziert, wird sie gelöscht und eine bessere installiert. Ganz so einfach ist es in der Industrie nicht.
Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass Menschen ihre Erfahrungen mit entsprechenden Nutzungsszenarien auch auf ihren Arbeitsalltag projizieren. Ihre Erwartungshaltung ist eindeutig: Softwaresysteme müssen im Privaten wie im Beruflichen einfach zu bedienen sein. Nur so können sie ihren Zweck erfüllen und echte Unterstützung leisten.
Hersteller industrieller Software tragen dieser Erwartung u. a. Rechnung, indem sie Oberflächen vereinfachen und ausschließlich auf die jeweiligen konkreten Prozesse oder Arbeitsschritte zugeschnittene Daten und Informationen anbieten. Auf diese Weise wird die Eingabe von Daten deutlich vereinfacht und einzelne ebenso wie die übergeordneten Unternehmensabläufe erheblich beschleunigt.
2. Automatisierte Abläufe
Ein weiterer Weg ist die Automatisierung von Abläufen auf der Basis von Workflows und Entscheidungstabellen. Durch sie lassen sich definierte Prozessvarianten sicher und einfach in die Praxis umsetzen und gleichzeitig stabilisieren. Gerade mit Entscheidungstabellen steht eine mächtige Ergänzung zu (BPMN) Workflow-Engines zur Verfügung: So können mitgelieferte Eingangsparameter eines Prozesses benutzt werden, um weitere Parameter zur Steuerung der Prozesse zu generieren. Das heißt: Aus einer Kombination von „n“-Eingangsparametern lassen sich mit Hilfe von DMN (Decision Model and Notation) „m“-Ausgangsparameter generieren. Unternehmen verwenden DMN v. a. für die Umsetzung bestimmter Geschäftsregeln, etwa um die Auswahl von Ressourcen in Abhängigkeit von Auftragsparametern wie Taktzeiten, auszubringende Mengen oder Qualitätsanforderungen zu steuern.
In der Kombination mit BPMN und DMN sind nicht nur lineare Prozessabläufe mit den klassischen Verzweigungen, sondern auch von (theoretisch beliebig vielen) Ausgangsparametern abhängige Prozessvarianten möglich. Die Prozesse laufen automatisch und entsprechend den geltenden Geschäftsregeln ab. Anwender müssen nicht mehr eingreifen.
Vorsicht vor einem Over-Engineering ist aber auch hier geboten. Denn die oberste Prämisse lautet: Die Komplexität muss beherrschbar sein.
3. KI-gestützte Eingabehilfen
Der dritte Simplification-Ansatz umfasst die Nutzung von Künstlicher Industrieller Intelligenz (KI). Die Idee: Software bietet Nutzern antrainierte Abläufe und erlernte Eingabemuster situativ an. Das heißt, Anwender werden bei der Dateneingabe unterstützt, indem RPA (Robotic Process Automation) automatisch und regelbasiert, eindeutig strukturierte Prozesse abarbeitet. Damit einher geht, dass nicht vorgedachte Prozessvarianten bzw. uneindeutig strukturierte Prozesse nicht automatisiert werden können. Gleichzeitig erkennen KI und entsprechende Algorithmen Muster, Wiederholungen, Ähnlichkeiten oder sogar (neue) regelmäßige Abläufe. Auf Basis der Mustererkennung (Pattern Recognition) kann KI folglich weitere Geschäftsregeln erkennen und dem Nutzer anbieten.
Auf diese Weise vereinfacht und beschleunigt KI nicht nur die Bedienung industrieller Software, sie verbessert auch die Datenqualität und schafft die Basis für die Automatisierung weiterer Prozesse.
Keep it simple!
Durch Maßnahmen wie die kontextsensitive Gestaltung von Ansichten, die Automatisierung von Abläufen sowie intelligente Eingabehilfen lässt sich industrielle Software trotz komplexer Funktionalität und Vernetzung in der konkreten Nutzung effizient vereinfachen. Über allem steht aber auch hier: Keep it simple!