Im Interview erklärt KI-Experte Dr. Rudolf Felix, wie Künstliche Intelligenz (KI) die Prozesse in der Produktion und darüber hinaus optimieren kann. Dabei geht er unter anderem auf den Einsatz von KI-Verfahren in Geschäftsprozessen ein und erläutert was bei der Nutzung in industriellen Anwendungen besonders zu beachten ist.
Was zeichnet den Einsatz von KI-Verfahren in Geschäftsprozessen aus?
Dr. Rudolf Felix: Der Vorteil des Einsatzes von KI-Methoden besteht darin, dass man Systeme und Lösungen mit Fähigkeiten anreichern kann, die man ansonsten eher nur Menschen zuspricht. So kann man Fragestellungen in Geschäftsprozessen lösen, die man Softwaresystemen nicht immer zugetraut hätte. Beispielsweise können geeignete KI-Algorithmen Muster in großen Datenmengen sehr gut erkennen, wenn für diese Muster gelabelte Daten vorliegen. Dies kann von großem Vorteil sein, wenn in den Geschäftsprozessen große Datenmengen in sehr kurzer Zeit zu analysieren sind.
Vielfach ist auch das Ausbalancieren von Zielkonflikten wie Auslastung gegen Durchsatz bei der Produktionsoptimierung keine einfache Aufgabe. Dies können Systeme, die auf Erweiterter Fuzzy-Logik oder auf Neuronalen Netzen basieren und mit qualitativen Labels arbeiten, sehr gut. Sie können auch die berechneten Entscheidungen besser erklären. Hybride KI-Systeme können sich gegenseitig ergänzen und zu noch besseren Lösungen führen. Je nach Fragestellung gibt es viele weitere KI-Methoden, die ebenfalls ihre Vorteile ausspielen können.
Was sind gelabelte Daten?
Gelabelte Daten sind aufbereitete Daten, denen bereits vor dem KI-Lernvorgang eine Bedeutung zugeordnet wurde, sodass diese von einem geeigneten lernenden KI-Verfahren genutzt werden können.
Ziel ist es, ein Modell dieser Daten zu erstellen, um basierend darauf, ähnliche Datenmuster in künftigen Daten selbsttätig erkennen zu können. Gelabelte Daten stellen sozusagen die Brücke zwischen Datenmustern und ihrer realen Bedeutung in der realen Welt, beispielsweise der eines Geschäftsprozesses, dar.
Können Sie einige wichtige KI-Methoden beispielhaft nennen?
Dr. Rudolf Felix: Neben der bereits erwähnten Erweiterten Fuzzy-Logik und Neuronalen Netzen in ihren diversen Varianten sind auch andere wichtige Methoden wie Support Vector Machines oder Random-Forest-Ansätze zu nennen. Im erweiterten Sinne gehören auch Methoden des klassischen Operation Research und viele statistische Methoden dazu. Hybride Systeme verbinden je nach Fragestellung unterschiedliche KI-Methoden zu geeigneten Gesamtsystemen, die auch klassische analytische Verfahren des sogenannten Advanced Engineering mit KI-Methoden verbinden.
Was ist bei der Nutzung von KI in industriellen Anwendungen besonders zu beachten?
Dr. Rudolf Felix: Wichtig, neben fundierten Kenntnissen aller KI-Methoden, ist die Problemlösungskompetenz der Entwickler von KI-basierten Lösungen. Daher sprechen wir bei PSI von Industrieller Intelligenz, die KI-Methodenwissen und industrielles Prozesswissen vereint. Verfügt man über beides, sind die Vorteile der KI-Lösungen weitreichend.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist allerdings auch das bereits erwähnte Vorliegen gelabelter Daten. Eine Voraussetzung, die in der öffentlichen Wahrnehmung des Themas KI bisher noch weitgehend unbeachtet bleibt und dennoch in den meisten Fällen industrieller KI-Anwendungen von entscheidender Bedeutung ist.
Warum sind gelabelte Daten so wichtig?
Dr. Rudolf Felix: In klassischen KI-Anwendungen wie Bildklassifikation oder Spracherkennung wird das Labeln der Daten meist empirisch vorklassifiziert und oft gar manuell durchgeführt. Man kommt in diesen Anwendungen nur deswegen damit aus, weil die einmal gelabelten Datenmuster in diesen Anwendungen sich mit der Zeit nicht substanziell verändern und das gelabelte Datenmaterial langfristig Bestand hat.
Eine KI-basierte Spracherkennung beispielsweise kann davon ausgehen, dass die Sprech- und Wortmuster einer Sprache einmal antrainiert prinzipiell in der antrainierten Form unverändert ihre Bedeutung behalten werden. Das Gesprochene hat über Monate oder gar Jahre Bestand. Ganz anders verhält es sich dagegen im Bereich dynamischer Geschäftsprozessdaten.
KINNOVATE - Innovation mit Künstlicher Intelligenz
Das heißt also in Geschäftsprozessen muss man die Daten immer wieder neu aufbereiten, um die KI-Anwendung stets auf dem Laufenden zu halten?
Dr. Rudolf Felix: Genau. Im Bereich von Geschäftsprozessdaten ist aufgrund der kontinuierlichen Neuentstehung von Datenmustern ein automatisiertes Labeln der Daten unabdingbar, sobald die KI-Anwendungen im Bereich der Optimierung von Geschäftsprozessen und der echtzeitfähigen Entscheidungsunterstützung arbeiten. In Produktionsprozessen mit höherer Variantenanzahl sind das Bestellverhalten der Kunden und die Ressourcensituation des Produktionsprozesses täglich anders. Eine KI-geeignete Datenaufbereitung muss hier aus historisierten und aus aktuellen Daten automatisch Zusammenhänge in den Prozessdaten in Form von selbstberechneten Klassen von Datenmustern erkennen, sichtbar machen und so selbsttätig die Rohdaten labeln können. Nur auf diese Weise können rohe Geschäftsprozessdaten für sich selbst anpassende und lernende KI-Algorithmen nutzbar machen.
Und wie begegnen Sie dieser Herausforderung?
Dr. Rudolf Felix: Wir haben hierfür Algorithmen für das sogenannte Qualitative Labeln in Verbindung mit der Deep Qualicision KI entwickelt. Vereinfacht gesagt macht sich das Qualitative Labeln die Messdaten in den Prozessen zunutze, die in den Geschäftsprozessen ohnehin erhoben werden. Wir sprechen hier von sogenannten Mikro- und Makro-KPIs, die der Kunde als Kennzahlen im Hinblick auf die Zufriedenheit aus seiner Perspektive bzw. aus der Perspektive des Prozesses einordnet.
Aus dieser qualitätsorientierten Minimalinformation können wir Datenzeitreihen ableiten und die Qualitativen Labels für den betreffenden Geschäftsprozess ohne weiteres Eingangswissen errechnen. Die Qualitativen Labels werden sozusagen aus dem Eigenanspruch der Qualität des Geschäftsprozesses und dessen Eigenrealität automatisch abgeleitet und die Geschäftsprozessdaten so KI-fähig selbsttätig aufbereitet.
Das Qualitative Labeln bildet eine wesentliche Komponente der Industriellen Intelligenz der PSI-Systeme.
Dementsprechend müsste der KI-Einsatz bei PSI bereits auch das Qualitative Labeln umfassen. Ist dies der Fall?
Dr. Rudolf Felix: Zunächst können wir in der Tat bei PSI die Industrielle Intelligenz der Lösungen für uns in Anspruch nehmen. Neuronale Netze sind in Systemen von PSI-Kunden mitunter seit mehr als zehn Jahren im Einsatz.
- Systeme, die auf Erweiterter Fuzzy-Logik aufbauen, steuern Prozesse bei namhaften Automobilherstellern und -zulieferern weltweit an mehr als 180 Produktionslinien.
- PSI-Kunden aus der Metallindustrie optimieren ihre Prozesse mit KI-Scheduling-Algorithmen ebenfalls weltweit.
- KI-Systeme der PSI sorgen für die Harmonisierung der Abläufe in Bus-Depots.
- Maintenance-Managementsysteme optimieren die Wartungspläne elektrischer Netze.
Dies sind nur ein paar Beispiele. Insgesamt sind es über 50 verschiedene KI-Verfahren, die PSI geliefert hat und betreut.
Ein Beispiel für den Einsatz von künstlichen neuronalen Netze ist die Reifenindustrie. Zur optimierten Produktionssteuerung von Prozessen werden hier mit Methoden der künstlichen Intelligenz die für die automatische Bilderkennung notwendigen Test- und Validierungsdaten gelernt.
DOT-Code Erkennung mit neuronalen Netzen
Und das Qualitative Labeln?
Dr. Rudolf Felix: Das Qualitative Labeln ist in einer Reihe dieser Anwendungen bereits im Einsatz. KI-Autopiloten zur wahlweise selbsttätigen Steuerung von Produktionsabläufen oder zum selbsttätigen Lernen von Systemeinstellungen in der Automobilindustrie und im Bereich von Prozessen der Energiewirtschaft sind hier wichtige Referenzanwendungen.
Auf der Hannover Messe erstmalig vorgestellte Prognoseverfahren im Zusammenhang mit dem Management der Energielasten in sogenannten Micro Grids oder bei Selbstdiagnosen komplexer Maschinen für Predictive Maintenance sind hier zu nennen.
Welche konkreten Erfahrungen haben PSI und Kunden mit dem Einsatz von KI gemacht?
Dr. Rudolf Felix: Vielfältig positive. Insbesondere, dass die Industrielle Intelligenz der PSI funktioniert. In manchen Anwendungen arbeitet das Qualitative Labeln im Stillen, effizient und unauffällig. Da ja die Lösung im Vordergrund steht und nicht die Methode, wird über das Thema erst jetzt intensiver gesprochen.
Was ist Ihre Zukunftsvision für den Einsatz von KI in PSI-Lösungen?
Dr. Rudolf Felix: Zukunftspotenzial hat ganz sicher die Vernetzung bestehender Lösungen zu übergreifenden Lösungsszenarien. Verbindet man die einzelnen Lösungen aus den Bereichen Automotive, Depotmanagement, Verkehrsflussoptimierung, Wartung und Führung von elektrischen Netzen zu vernetzten Szenarien, entstehen unmittelbar globale Lösungsszenarien etwa bei Konzepten für moderne Mobilität, Elektromobilität oder bei der Vernetzung von Produktions- und Transportlogistik, deren Nutzen unmittelbar greifbar ist.
Hier ist PSI mit ihrem Potenzial nach meiner Einschätzung einzigartig. Da wir zudem das Qualitative Labeln im Zuge der PSI-Plattformstrategie in alle PSI-Tools integrieren, sind wir mit mehreren USPs hervorragend auf die KI-Zukunft vorbereitet.