Der öffentliche Nahverkehr hat eine Vorreiterrolle bei der Umstellung auf alternative Antriebe eingenommen. Starke Impulse setzt dabei die Clean Vehicles Directive der EU und ihre verpflichtenden Mindestquoten für die Beschaffung von sauberen und emissionsfreien Fahrzeugen. Unternehmen stehen vor diesem Hintergrund zunehmend unter Handlungsdruck, eine praktikable und zugleich zukunftsfähige Elektrifizierungsstrategie zu entwickeln.
Die große Herausforderung: Nur wenige Betriebe und Zulieferer verfügen über ein Gesamtverständnis der Anforderungen eines ÖPNV-Betriebs und dem Management einer elektrischen Infrastruktur. Genau hierauf kommt es aber, um die erforderlichen Strukturen schnell zu schaffen, diese langfristig und effizient zu nutzen und unabhängig von den Technologien einzelner Hersteller zu bleiben. So gilt es, das vielschichtige Zusammenspiel von Fahrbetrieb und Lademanagement zu optimieren und Standards für die Kommunikation zwischen den verschiedenen Systemen zu schaffen.
Betriebliche und elektrische Einflussparameter ganzheitlich berücksichtigen
Das Laden von Elektrobussen auf der Strecke oder im Depot stellt Verkehrsunternehmen vor neue Herausforderungen. Die zentrale Frage: Wie lässt sich gewährleisten, dass die Busse pünktlich und bedarfsgerecht geladen zur Verfügung stehen – und das so wirtschaftlich wie möglich?
Hierbei muss bedacht werden, dass weit mehr Einflussfaktoren und Abhängigkeiten eine Rolle spielen als beispielsweise die begrenzte Batteriereichweite. So wird allein die Reichweite jedes einzelnen Fahrzeugs zusätzlich z. B. auch vom Alter der Batterie, von der Außentemperatur oder der konkreten Fahrweise eines Busfahrers beeinflusst. Entscheidend für das Laden der Fahrzeuge ist wiederum
- die Ladeinfrastruktur auf der Strecke oder im Betriebshof,
- die konkrete Anschlussleistung sowie
- mögliche Einschränkungen der elektrischen Versorgung aufgrund von Netzbedinungen und Preisen.
Nicht zuletzt können Aspekte wie netzdienliches Laden, Batterieschonung oder Laden zu günstigen Energiepreisen zum relevanten Wirtschaftsfaktor werden.
So müssen eine große Anzahl betrieblicher und elektrischer Einflussparameter sowie deren vielschichtigen Abhängigkeiten berücksichtigt und optimiert ausbalanciert werden. Umfasst eine Flotte viele Fahrzeuge, ist diese Planung ausschließlich mit Hilfe von Software möglich.
Vielschichtige Abhängigkeiten automatisiert optimieren
Verkehrsbetriebe profitieren daher von integrierten Depot- und Lademanagementsystemen, die speziell für den emissionsfreien ÖPNV konzipiert sind. Das System PSIebus führt durch die Kombination des Depotmanagement-Moduls PSIeDMS mit dem Lademanagementsystem PSIsmartcharging die Daten aus der betrieblichen Vorplanung mit den Daten der elektrischen Systeme zusammen.
Fahrzeug- und Betriebsdaten fließen gemeinsam mit Wetterprognosedaten sowie Informationen zu den Einspeisepunkten, Trafos und Ladesäulen zusammen und bilden die für die Weiterverarbeitung benötigte Basis für ressourcenschonende, bedarfsgerechte Ladevorgänge. Gleichzeitig erfolgt bei drohender Überlast oder Einschränkungen im Leistungsbezug automatisiert eine Umverteilung der Leistung, die den technischen (z.B. Leitungsbelastung) und kommerziellen Einschränkungen (z. B. maximale Bezugsleistung oder Kosten) Rechnung trägt und trotzdem einen verlässlichen Betrieb sicherstellt.
Das System ermittelt den besten Ladevorgang für jedes Fahrzeug
Durch den PSI-eigenen Optimierungskern Qualicision lassen sich alle relevanten Kriterien und ihre vielschichtigen – zum Teil auch gegenläufige – Abhängigkeiten mit hoher Geschwindigkeit optimiert ausbalancieren. Dabei können Betriebe in Abhängigkeit ihrer konkreten Strukturen sämtliche Parameter individuell priorisieren und gewichten.
Denkbar ist z. B. das folgende Szenario: Der Mindestladezustand einer Batterie für den nächsten, geplanten Umlauf fließt restriktiv als zu erfüllende Anforderung in die Gesamtplanung ein. Qualitative Kriterien, wie eine batterieschonende reduzierte maximale Ladeleistung oder ein reduzierter Zielladezustand der Batterie, werden zueinander priorisiert, gewichtet und gehen ebenfalls als Kriterien in die Ladeplanung ein. Die damit einhergehende Verlangsamung der Batteriealterung, stellt für große Betriebe durchaus einen relevanten Kostenfaktor dar.
Standardisierte Kommunikationsabläufe zwischen Depot- und Lademanagement
Weil angebundene Systeme wie DMS (PSItraffic/DMS) oder ITCS (PSItraffic/ITCS) künftig also eng mit Lade- bzw. Lastmanagementsystemen verwoben sein müssen und diese wiederum mit Ladesäulen, bedarf es Schnittstellen, die eine Kommunikation ermöglichen. Solche Schnittstellen müssen aus betriebswirtschaftlichen und technischen Gründen standardisiert sein. Dadurch werden vereinheitlichte Prozesse mit klarer Definition der Verantwortlichkeiten ermöglicht und Investitionssicherheit hergestellt. Sie ermöglichen Verkehrsbetrieben auch zukünftig die freie Auswahl ihrer Lieferanten, d.h. sie vermeiden den „Vendor Lock-in“.
Die Standard-Schnittstelle VDV463 hat ihren Ursprung im erfolgreichen in Betrieb befindlichen Pilotprojekt der Hamburger Hochbahn. Der Standard beschreibt vor allem den bilateralen Informationsaustausch zwischen Depot- und Lademanagementsystem und legt hierfür sowohl das Datenformat als auch das Transportprotokoll fest. Dazu zählt beispielsweise, welche betrieblichen Parameter vom Betriebs- bzw. Depotmanagementsystem wie, wo und mit welcher Priorität über den sogenannten Charging Request ans Lademanagementsystem (LMS) übertragen werden und wie das LMS die Ladeplanung im Detail als Charging Information zurücksendet.
Konkretisierung von Schnittstellen zwischen Lademanagement und Ladesäulen
Für die Verbindung zwischen den Lademanagementsystemen und Ladesäulen existiert bereits die offene und zertifizierte OCPP 1.6 (Open Charge Point Control)-Schnittstelle. Sie beschreibt einerseits, wie die Nachrichten zwischen den beiden Komponenten für die Überwachung und Ladesteuerung genutzt werden und andererseits das von der Ladeinfrastruktur und teilweise von den Bussen erwartete Verhalten inklusive der verknüpften Daten.
Das Problem: Die konkrete Art und Weise der Nachrichtennutzung im Zusammenhang bleiben offen. So legt das Protokoll beispielsweise nicht konkret genug fest, welche Ladeprofile für eine zentrale Ladesteuerung genutzt werden und welche Daten wiederum die Ladestation bereitstellen müssen, damit eine zentrale Überwachung und Ladesteuerung möglich ist. Dasselbe gilt für die Nutzungsbeschreibung der Ladeprofile bei Kommunikationsausfällen oder Störungen der Energieversorgung.
Die Folge ist, dass die unterschiedliche oder unvollständige Umsetzung der Smart Charging Profile hohe Kosten beim Anschluss der Ladesäulen an ein Last- und Lademanagementsystem verursachen kann. PSI hat aus diesem Grund die Nachrichten der OCPP 1.6 in dem Dokument „PSIready“ konkretisiert. Dazu zählen vor allem auch die Berücksichtigung von Restriktionen der Energieversorgung sowie die präzise Definition eines Notfallbetriebs, die in den meisten Schnittstellenbeschreibungen fehlt.
Langfristig erfolgreich mit All-in-One-System und Standards
Das Umrüsten auf Elektromobilität beeinflusst erheblich die betrieblichen Abläufe in Verkehrsunternehmen. Dabei kommt es darauf an, die Abläufe des Betriebshofs mit denen des Lademanagements zu kombinieren und die vielschichtigen Abhängigkeiten optimiert auszutarieren. Standardisierungsbemühungen wie im Umfeld der VDV-Norm 463, aber auch im Kontext des Zusammenspiels von Lademanagementsystemen und Ladesäulen sind zudem zwingend erforderlich, um langfristig einen sicheren und effizienten Betrieb sowie Herstellerunabhängigkeit für die Betriebe zu ermöglichen.