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Kollaborationsplattformen und Standards: Industrie 4.0 wird praxistauglich

10.05.2023 - Produktion, Technologie, Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz

Adobe Stock/Gorodenkoff
Adobe Stock/Gorodenkoff

Industrie 4.0 ist längst keine graue Theorie mehr. Durch Standards gehen die Konzepte in die Umsetzung und Unternehmen sind in der Lage, ihre Geschäftsmodelle auf die Zukunft auszurichten. Kollaborations­plattformen gelten als nächster Meilenstein in dieser Entwicklung.

Blog-Serie: Die 5 wichtigsten ERP-Trends 2023

Im Überblick
Bereit für die industrielle Transformation: Die wichtigsten ERP- und MES-Trends für 2023

  1. Legacy-Systeme in der ERP- und MES-Welt: Altlast oder Zukunftschance?
  2. Kollaborationsplattformen und Standards: Industrie 4.0 wird praxistauglich
  3. Smart Manufacturing: ERP-MES-Lösungen verhelfen zu Resilienz und Wandlungsfähigkeit (folgt demnächst)
  4. Digitale Services: ERP-MES-Lösungen nehmen vollständigen Lebenszyklus ins Visier (folgt demnächst)
  5. Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung: Vom Problem zum Teil der Lösung (folgt demnächst)

Industrie 4.0-Konzepte kommen langsam bei den Automatisierern und Ausrüstern an. Dieser Fortschritt ist vor allem den Standardisierungsbemühungen von Forschung und Praxis zu verdanken.

Zur Erinnerung: Grundlage aller Aktivitäten im Umfeld von Industrie 4.0 sind die Industrie 4.0-Komponenten mit ihren Verwaltungsschalen und Teilmodellen. Die Komponenten beschreiben physische oder logische Assets, also Maschinen und Anlagen, Hardware, Betriebsmittel ebenso wie Software oder Fertigungsvorschriften. Auch ganze Produktionslinien, Standorte oder Unternehmen mit ihren Kompetenzen lassen sich als Asset definieren. Zu jedem Asset gehört auch eine Verwaltungsschale, die sich auf dem Asset selbst, z. B. in einer Steuerung, oder an anderer Stelle im Netzwerk befindet. Spezielle Server und Registries hosten die Verwaltungsschale und machen die Assets auffindbar.

Standards treiben Industrie 4.0-Umsetzung

Um die Vorteile einer vernetzten Industrie 4.0 nutzen zu können, braucht es Standards. Genau diese sind inzwischen an vielen Stellen definiert und werden nach Jahren der theoretischen Diskussion um Industrie 4.0 zum Katalysator für deren Umsetzung. In den Leuchtturmprojekten Basys4.0 und Basys4.2 wurde beispielsweise eine Open Source Middleware entwickelt, die eine geeignete Umgebung bereitstellt, um standardisiert und damit massiv vereinfacht auf die Produktionstechnik zugreifen zu können. Die Teilnehmer des Netzwerkes kommunizieren über eine Standardsprache, die sowohl die Strukturen (Begriffe und Zusammenhänge) als auch den Ablauf der Kommunikation beschreibt.

Die gesamte Lieferkette im Visier

Neue Lösungsstandards betrachten die gesamte Lieferkette und werden so unter anderem den volatilen Umweltbedingungen gerecht. Um beispielsweise Ausfälle in länderübergreifenden Lieferketten und mögliche Produktionsausfälle zu begrenzen, kommen Organisationsprinzipien wie die Schwarmfertigung zum Einsatz.

Die Idee: Aufträge werden auf mehrere Lieferanten verteilt und gleichzeitig - „im Schwarm“ - abgearbeitet.

Die Beschreibung der individuellen Fähigkeiten der Teilnehmer innerhalb der Lieferkette erfolgt durch digitale Zwillinge auf Basis der Verwaltungsschalen und spezifischer Teilmodelle. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass geeignete Partner schnell und einfach identifiziert werden können. So entsteht ein unternehmensübergreifendes Netzwerk, das deutlich resilienter gegenüber Störungen ist.

Möglichkeiten, Fähigkeiten und Services im Kontext einer gemeinsamen Produktion und anpassungsfähigen Fabrikszenarien. Quelle: Chris Urban, Alexander Belyaev und Christian Diedrich. „Verwaltungsschale-basierter Ansatz für die Umsetzung von auftragsgesteuerter Produktion“. VDI-Kongress Automation 2022, Baden-Baden, Juni 2022.
Möglichkeiten, Fähigkeiten und Services im Kontext einer gemeinsamen Produktion und anpassungsfähigen Fabrikszenarien. Quelle: Chris Urban, Alexander Belyaev und Christian Diedrich. „Verwaltungsschale-basierter Ansatz für die Umsetzung von auftragsgesteuerter Produktion“. VDI-Kongress Automation 2022, Baden-Baden, Juni 2022.

Kommunikation ist alles

Für Unternehmen, die diese Konzepte umsetzen, eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten der Monetarisierung. So vereinfachen beispielsweise standardisierte Beschreibungsformen von Maschinen den Zugriff - lokal oder über das IIoT. Damit stehen den Unternehmen in großem Umfang Betriebsdaten zur Verfügung, die datenbasierte Geschäftsmodelle wie Predictive Maintenance ermöglichen. Vernetzte Lieferketten wiederum ermöglichen Manufacturing-as-Service.

In jedem Fall gewinnen Kommunikationsplattformen für diese neuen Modelle an Bedeutung, da sie Partner in virtuellen Wertschöpfungsnetzwerken bi- oder multilateral vernetzen. Die Teilnehmer tauschen hier z. B. Auftragsinformationen aus, bilden Ausschreibungsprozesse ab und steuern Material- und Wertströme unternehmensübergreifend. Ohne diese Prozesse und Informationen könnten Aufträge in einer Schwarmproduktion nicht realisiert werden.

Sichere Datenräume schaffen

Auch hier gibt es inzwischen konkrete Ergebnisse: Manufacturing-X für den Maschinenbau und Catena-X für die Automobilindustrie sind zwei prominente Beispiele. Beide Initiativen gehen auf einen Beschluss der von der Bundesregierung geförderten Plattform Industrie 4.0 zurück. Diese beschäftigt sich mit dem Aufbau eines Datenraums für Industrie 4.0, der Umsetzung mittelstandstauglicher Anwendungskonzepte und der Internationalisierung auf Basis globaler Standards. Dahinter steht eine breite Allianz führender Unternehmen der Industrie 4.0-Community mit ihren Netzwerken und Verbänden als Unterstützer.

Reif für die Praxis

Industrie 4.0 punktet vor allem durch Interoperabilität zwischen Assets bis hin zu unternehmensübergreifenden Lieferketten. Standards haben die Konzepte zu praxis- und anwendertauglichen Lösungen reifen lassen - von der technologischen Umgebung bis zu den Regeln der Kommunikation und Kollaboration.

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Karl Tröger

Business Development Manager PSI Automotive & Industry GmbH

Seit mehr als 20 Jahren ist Karl Tröger bei der PSI Automotive & Industry. In dieser Zeit hat er sich mit allen Aspekten von ERP-Software befasst und war in führenden Positionen in Entwicklung, Beratung und Marketing tätig. Heute versteht er sich als Bindeglied zwischen Kunden, Markt, Wissenschaft sowie Software-Entwicklung und Marketing. Der Diplom-Ingenieur der Elektronik und Nachrichtentechnik ist an der von der Bundesregierung initiierten Plattform Industrie 4.0 beteiligt und veröffentlicht regelmäßig vielbeachtete Publikationen über die Zukunft von fertigungsnaher Software.