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Resilienz in der Gasnetzinfrastruktur: In kritischen Situationen die richtigen Entscheidungen treffen

30.03.2022 - Energie, Künstliche Intelligenz, Technologie

Quelle: Gascade Gastransport GmbH
Quelle: Gascade Gastransport GmbH

Deutschlands Infrastruktur für die Übertragung und Verteilung von Strom und Gas ist außerordentlich robust. Die meisten Störereignisse können bewältigt werden, ohne dass es zu Versorgungs­unter­brechungen kommt. Doch die weltweite Corona-Pandemie, verheerende Hochwasserkatastrophen und vermehrte Cyberangriffe zeigen uns unsere Verletzlichkeit auf. Wie können Betreiber kritischer Infrastrukturen in Ausnahmesituationen schnell und sicher reagieren? Was müssen Leitsysteme heute leisten, damit Energieversorger zukünftig Krisen souverän bewältigen können?

Um die notwendige Resilienz des Energiesystems sicher­zustellen, werden Daten zunehmend automatisiert und ent­scheidungs­orientiert bereitgestellt. Fehlfunktionen können so bereits in den Ansätzen erkannt und beseitigt werden.

Leitsysteme sind das technische Herzstück der Energiesysteme

Störungen der Energieinfrastruktur durch terroristische Angriffe auf Speicher und Netze oder Leckagen aufgrund von Erdrutschen bei Naturkatastrophen sind schwer vorhersehbar. Vor diesem Hintergrund ermöglichen Leitsysteme die bedarfsgerechte Entwicklung und Integration von Krisenreaktionsfunktionen, um in kritischen Situationen hohe Handlungssicherheit zu gewährleisten. Dafür müssen sie einfach und sicher bedienbar sein – vor allem in Stresssituationen.

Vergleichbar mit dem Notruf auf Schiffen: Über die rote Ruftaste kann in einem Notfall Unterstützung angefordert und der Rettungseinsatz über eine bewährte Reaktionskette eingeleitet werden. Im Krisenfall wird der Schwerpunkt auf automatisierte Alarmierung und Informationsbereitstellung sowie auf schnelle und sichere Entscheidungsunterstützung gesetzt.

Digitalisierte Energienetze ermöglichen hochwertige Lagebilder

Unsere Energiesysteme werden zunehmend zu hochkomplexen, verteilten technischen Systemen: Großkraftwerke werden durch eine Vielzahl von erneuerbaren Energiequellen ersetzt. Um auch bei volatilen Einspeisungen und saisonalen Schwankungen eine stabile und bezahlbare Energieversorgung sicherzustellen, nimmt die Interaktion zwischen Strom- und Gasnetzen kontinuierlich zu.

Voraussetzung für eine stabile und bezahlbare Energieversorgung ist die Digitalisierung der Energienetze und eine durchgehende Über­wachung aller Betriebsmittel, damit Fehlfunktionen bereits in den Ansätzen erkannt werden.

Durch die hohe Komplexität können Störungen allerdings nicht vollständig verhindert werden. Deshalb muss das Energiesystem so ausgestaltet sein, dass sie keine gravierenden Folgen haben. Je nach Ausmaß der Notfalls gibt es noch Handlungsspielräume, die erfahrene Dispatcher unter Umständen ausnutzen können. Je großflächiger sich eine Störung ausbreitet, desto schwieriger wird es, mögliche Kollateralschäden einzelner Entscheidungen zu überblicken. Um das Energiesystem in einer Ausnahmesituation schnell und sicher in einen stabilen Zustand zu bringen, wird ein vollständiges Lagebild über

  • den aktuellen Netzzustand,
  • drohenden Engpässen und
  • möglichen Handlungsoptionen benötigt.

Dafür bieten unsere Leitsysteme die leistungsstarke Unterstützung bei Netzführung, Netzsimulation, Prognose und Transportmanagement. Mit diesen Anwendungen werden umfassende und präzise Informationen für den reibungslosen und dauerhaften Betrieb der Gasinfrastruktur für Netzbetreiber zur Verfügung gestellt. Dazu gehören Netzzustands- und Prozessdaten sowie Prognosedaten für unterschiedliche Szenarien.

PSIgasguide zur Optimierung aktueller und zukünftiger Fahrweisen des Gasnetzes mit Entscheidungsunterstützung. Quelle: PSI
PSIgasguide zur Optimierung aktueller und zukünftiger Fahrweisen des Gasnetzes mit Entscheidungsunterstützung. Quelle: PSI

Entscheidungsunterstützung mit Künstlicher Intelligenz

Wir arbeiten beständig daran, die Resilienz der kritischen Gasnetzinfrastruktur softwareseitig zu unterstützen und an die steigende Komplexität anzupassen. Dabei werden auch vorhandene Funktionalitäten um KI-basierte Sicherheitslösungen erweitert. Ziel ist die Bereitstellung leistungsstarker und intelligenter Werkzeuge für

  • die Analyse,
  • Prognose und
  • Entscheidungsunterstützung

im Echtzeitbetrieb zur weiteren Resilienzverbesserung der Gasinfrastruktur.

Komplexe Netzzustandssituationen werden mithilfe leistungsstarker KI-basierter Algorithmen analysiert und bewertet. Ein Beispiel ist die Softwarelösung PSIgasguide, welche die Simulation und die Verdichter-Optimierung mit etablierten KI-basierten Modellen zur Entscheidungs­findung verbindet. Eine Besonderheit ist hierbei, dass die Entscheidungsunterstützung hinsichtlich mehrerer Zielgrößen mithilfe von Fuzzylogik optimiert wird. Dispatcher erhalten so ein umfassendes Bild über mögliche Handlungsoptionen.

Die Simulation wird für hochpräzise Simulationen von Strömungen in Gastranspor­tnetzen und Gasverteil­netzen eingesetzt. Sie bietet Anwendern die Möglichkeit, Gas­netz­zustände vorauszuplanen und kommt auch erfolgreich für die Leckerkennung und Leckortung zum Einsatz.

Im Krisen- und Katastrophenfall wird das Krisenmanagement durch die Bereitstellung einer zuverlässigen Zustandsbewertung und Handlungsoptionen zur Aufrechterhaltung oder unmittelbaren Wiederherstellung der Versorgungssicherheit unterstützt. Reaktionszeiten in Krisensituationen werden so deutlich verkürzt und Kaskadeneffekte minimiert.

Kontinuierliche Zustandsbewertung und zuverlässige Erkennung von Anomalien

Die Grundlage für Aktionsempfehlungen bieten die Daten, die mit dem Leitsystem erfasst werden. Diese werden in ein Netzzustandsmodell überführt, in dem jeder Netzzustand qualitativ bewertet und eine Abweichung vom sicheren Netzzustand zuverlässig erkannt wird. Maßnahmen zur Behebung der Abweichungen werden in einem Aktionsmodell in Form von Schalt- und Sollwert-Vorgaben abgebildet in dem auch das Erfahrungswissen der Dispatcher festgehalten wird.

Es erfolgt eine Normierung und Aufbereitung des Wissens erfahrener Dispatcher zur Bewertung außergewöhnlich kritischer Situationen (Netzzustandsmodell) und darauf aufsetzender Steuermaßnahmen (Aktionsmodell). Diese bilden die Ground-Truth-Daten für die KI. Damit werden Netzzustand und ausgeführte Aktionen gekoppelt: Es erfolgt eine laufende Bewertung der Lage und der ausgeführten Aktionen.

Leistungsstarke Trainingssysteme für Dispatcher

Bei der Entwicklung KI-basierter Sicherheitslösungen liegt der Fokus auf der Stärkung des Vertrauens in die KI-Algorithmen und der Nachvollziehbarkeit genutzter Verfahren und Lerneffekte. Dazu werden einfache Bedienungen bereitgestellt, über die Anwender die Priorisierung unterschiedlicher Kriterien beeinflussen können.

Zudem wird eine Zielbeziehungsmatrix offengelegt, über die wechselseitige Wirkungen erkannt werden. Auf dieser Grundlage werden leistungsstarke Trainingssysteme für Dispatcher aufgebaut und Resilienz-KPIs für Angriffsstrategien aus dem adversarischen Lernen gewonnen und bereitgestellt.

Das Anlernen der Sicherheitslösung durch erfahrene Anwender ist ein integraler Bestandteil des Lösungsansatzes. Die Übertragbarkeit der Lösungen auf andere kritische Infrastrukturen für Strom, Wasser und Wärme sowie deren Verbindung zu einem einheitlichen Gesamtsystem ist ein Architekturgrundsatz der gewählten Lösung.

In Ausnahmesituationen schnell und sicher reagieren

Betreiber kritischer Infrastrukturen müssen gerade in Ausnahmesituationen schnell und sicher reagieren. Ein umfassendes Lagebild über alle betroffenen energetischen und strukturellen Sektoren ist ebenso wichtig wie der schnelle und sichere Zugriff auf Erfahrungswissen.

Die Erweiterung der PSI-Produktsuite um KI-basierte Sicherheitslösungen unterstützt unsere Kunden dabei, die Resilienz der Gasinfrastruktur weiter zu stärken.

Wie Sie in kritischen Situationen die richtigen Entscheidungen treffen:

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Anja Baschin

PSI Gasnetze und Pipelines
Manager Quality Management

abaschin@psi.de

Glossar

Resilienz
ist die Fähigkeit eines Systems, seine Funktionsfähigkeit unter Belastungen aufrechtzuerhalten beziehungsweise kurzfristig wiederherzustellen. Dabei geht Resilienz über die Eigenschaft der Robustheit hinaus. Ein resilientes Energiesystem bleibt auch bei Störungen funktionsfähig. Störungen werden rasch behoben.

Lagebild
liefert in Echtzeit ein aktuelles Bild des Energiesystems. Daten zu angeschlossenen Betriebsmitteln in allen betroffenen energetischen und strukturellen Sektoren und zum Netzzustand werden automatisiert analysiert. Lagebilder für die Energieversorgung stellen zuverlässige Informationen bereit

  • für die jeweiligen Sparten Strom, Gas, Wasser,
  • für die energetische und strukturelle Sektorenkopplung, d. h. der Verbindung zwischen den Netzen,
  • für die strukturelle Sektorenkopplung, d. h. der Verbindung zwischen den Energiesektoren mit den Verbrauchssektoren für Haushalt, Gewerbe, Industrie und Verkehr.

Ground-Truth-Daten
sind die Lerndaten oder auch das „Grundwissen“. In unserem Fall umfassen sie das Wissen der Dispatcher und die in der Leitsystem-Software abgebildeten komplexen Abhängigkeiten zwischen strömungsmechanischen und thermodynamischen Parametern, mathematische Modellierungen und gesetzlichen Vorgaben zur Steuerung des Energiesystems. Die Qualität der Lerndaten ist entscheidend für den Erfolg der eingesetzten KI-Algorithmen.

Adversarisches Lernen
ist eine Deep-Learning-Technik, die dafür zwei neuronale Netze verwendet. Ein neuronales Netzwerk wird als „Generator” eingesetzt und unterstützt bei der Generierung neuer Dateninstanzen. Das andere neuronale Netz bewertet als „Diskriminator“ die Daten auf ihre Authentizität hin. Beide Netze lernen miteinander in einer Schleife mit doppelter Rückkopplung.